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Christoph Werner: Wir brauchen in Deutschland mehr Lust auf Zukunft
Liebe Leserin, lieber Leser,
liegen die besten Jahre hinter uns? Ein Blick in die Medien erweckt oft diesen Eindruck. Ist Zukunft deshalb bedrohlich? Zukunft kann bedrohlich sein, muss es aber nicht. Denn je weiter wir in die Zukunft blicken, umso offener ist sie.
Schaue ich in meinen Kalender, ist der Ablauf der nächsten Wochen und Monate festgelegt. In einem Jahr gibt es jedoch noch große Lücken. Diese Lücken sind Freiräume. Wenn ich nicht weiß, was mir wichtig ist und was ich erreiche möchte, sind Freiräume verunsichernd und ich werde orientierungslos und unzufrieden. Weiß ich jedoch, was mir wichtig ist und wohin ich will, sind sie mir willkommen und ich entscheide, wie ich sie nutzen möchte. So betrachtet, entsteht Lust auf Zukunft, wenn wir uns Ziele setzen, die wir wirklich erreichen wollen.
Für den, der Ziele hat, sind Veränderungen Chancen, um neue Wege zu entdecken und die Gunst der Stunde zu nutzen.
Auf unser Land bezogen: Welche Ziele wollen wir uns setzen? An welchen Werten wollen wir uns orientieren? Je mehr wir uns im öffentlichen Diskurs konstruktiv damit auseinandersetzen, umso eher werden wir Lust auf Zukunft entwickeln und die offenen Zukunftsräume mit unseren Ideen füllen. „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft. Denn in ihr gedenke ich zu leben.“ Dieses Zitat von Albert Einstein bringt es für mich auf den Punkt, weil es auf folgenden Sachverhalt aufmerksam macht: Wir können uns vorallem mit der Vergangenheit beschäftigen und uns Zukunft als eine Verlängerung der Vergangenheit vorstellen. Wir können uns Zukunft aber auch als Sehnsuchtsort vorstellen, an dessen Verwirklichung wir schon heute arbeiten.
Ein weiterer Gesichtspunkt, der mir für den Umgang mit Zukunft wesentlich erscheint: Im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch haben wir nur das Wort „Zukunft“, für den vor uns liegenden Zeitraum. Im Lateinischen gibt es zwei Begriffe, die die unter-schiedlichen Qualitäten von Zukunft verdeutlichen: „Futurum“ und „Adventus“. Futurum ist die Zukunft, die wir aus der Gegenwart heraus planen, vergleichbar einer Tagesordnung, mit der wir eine Besprechung strukturieren. Anschließend durchleben wir diese Tagesordnung und sind froh, wenn nichts dazwischen kommt. Adventus ist hingegen die Zukunft, die in die Gegenwart hineinbricht und uns überrascht. Es sind Ereignisse, mit denen wir nicht gerechnet haben, die aber neue Perspektiven auf scheinbar bekannte Sachverhalte ermöglichen.
Um Futurum gestalten zu können, brauche ich Ziele. Adventus erfordert situative Geistesgegenwart. Den souveränen Umgang mit den scheinbaren Widersprüchen von „planvollem Vorgehen“ und „spontaner Planänderung“ bezeichnet „Ambiguitätskompetenz“. Darüber zuschreiben ist leicht. Sie zu leben eine echte Herausforderung. Gerade in unübersichtlichen Zeiten ist sie jedoch eine Schlüsselkompetenz, um Zukunft zu gestalten.
Aus der Perspektive von Futurum und Adventus erscheinen die aktuellen Herausforderungen in unserem Land in einem anderen Licht: Warum schaffen wir immer neue Gesetze und Verordnungen? Weil wir die Zukunft vor allemals Futurum denken. Wir wollen alles absichern und damit Überraschungen weitgehend ausschließen. Treten Überraschungen dennoch ein, sind wir langsam in den Anpassungsprozessen, denn eigentlich wollen wir doch unsere Pläne umsetzen. Wenn wir, statt Gesetze und Verordnungen zu verändern, immer neue hinzufügen, bewegt sich in Deutschland am Ende kaum noch etwas. Eine sogenannte „Sunset Klausel“ konsequent für alle Gesetze und Verordnungen könnte hier Abhilfe schaffen: Wenn Gesetze systematisch überprüft und überarbeitet würden, dann würden sie nicht mehr aus der Zeit fallen, sondern an die Zeit angepasst werden.
Wenn wir wissen, wohin wir wollen und was uns wichtig ist, werden wir Lust auf Zukunft verspüren. Was für ein Glück, in einem Land zu leben, in dem wir diese Diskussionen führen können, wenn wir uns dafür einsetzen!
Herzlichst
Ihr Christoph Werner
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